Lückensuche

umkreisung

Ich war in einer Gegend so weit draußen, dass die Migranten auf der einen Seite der Straße die Fenster ihrer Blechhäuschen mit bunten Tüchern abdecken mussten, um vor der Sonne geschützt zu sein. Und die Einwohner auf der anderen Seite der Straße lebten fast wie in einer gated community, mit hohen Hecken, Carports und Video-Kameras.

Eigentlich wollte ich zu dem alten Deponiehügel. Ich kann ihn von mir aus sehen: begrünt, überkrustet mit Solarpaneelen. Wollte den Blick zurück vom Gipfel zu meinen Ostfenstern. Es ging ja auch das Gerücht, die Dienste hätten in der DDR-Zeit von dem Hügel aus in die Stadt hineingehorcht, oder in den Himmel, wer weiß das schon genau.

Aber der gigantische Mülltumulus war umgeben von einem Park, der Eintritt verlangte, also suchte ich nach einer Stelle, wie ich umsonst auf den Hügel kommen konnte. Mautlos zum Abfallgipfel, zur blauen Kruste der Lichtfänger. Ich begann mit der Umrundung. Zuerst kamen die einzeln bezifferten Blöcke einer Hochschule, große Legebatterien des Wissens. Dann die tiny houses für die Flüchtlinge mit ihren improvisierten Gardinen, und die Edelsiedlung gleich daneben. Dann geriet ich erst recht ins Abseits. Ein schmales Seen-Handtuch als Naturschutzgebiet. Wo die Alibi-Naturschutzgebiete beginnen, bist du wirklich am Rand der Stadt. Ich spazierte durch eine Heidelandschaft, immer am Absperrzaun entlang, auf der Suche nach einer Lücke. Graffiti-Baracken in der Ferne, ein sehr improvisierter Hochsitz, von dem aus vielleicht im Herbst das eine oder andere Reh verarztet werden würde. Garagen. Dann plötzlich wieder Einfamilienhäuser, die erschlossenen Grundstücke direkt an der Alt-Deponie. Noch mehr Garagen. Ein Wertstoffhof. Irgendwann wird jemand die Kulturgeschichte der DDR-Garagenanlage schreiben, unter besonderer Berücksichtigung der Unterschiede zur BRD-Garagenanlage. Wahrscheinlich gibt es diese Kulturgeschichte bereits, denn im Wertstoffhof der Kultur wird alles recycelt. Tankstelle. Ausfallstraße wie Einfallstraße. An der blauen Hangseite, wo die Sonne Geld machte, wurde ich immer noch vom Zaun gehemmt, und zusätzlich von einem breiten Krempelgürtel aus Ruinen, alten Land- und Baumaschinen, heruntergekommenen, einstöckigen Lagerhallen, verkrauteten Kleingartensiedlungen. Eine Deponiezone, der alten Deponiezone vorgelagert, ein Gebiet wie ein alter Reifen, weggeschmissen, aber unkaputtbar. Hier ein Gemisch aus alten DDR-Straßenlampen und neuen LED-Flutlichtern mit angeflanschten Videokameras. Parkplätze, in der Nähe des Orts, an dem die Nazis ihre Architekturscheiße in Sandstein hinterlassen hatten – die gute, alte Hindenburg-Kaserne. Wo heute viele Menschen wohnen und das Finanzamt 1 von Magdeburg auch. Ein altes Theater gibt es, und mittendrin im Areal noch einmal ein Parkplatz, denn dieser Welt fehlen einfach die Parkplätze. Die Umrundung war perfekt. Auf den Gipfel des Hügels war ich nicht gelangt, aber ich kam mit der Straßenbahn schnell zurück zu meinem Turm, von dem aus ich mir den Hügel im Abendlicht noch ein wenig ansehen konnte.