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Scheine oben, Münzen unten

Ja was denn für ein Hund?

Am Ziel- und Endbahnhof –
wie verformt bist du denn?

Der Wille deiner Schultern
im Falterflattern der LEDs,
am stillen Konferenztisch,
vor Bildschirmen, fast so scharf
wie dein bester Dauerschmerz.

Was geht?

Ein guter Hund sollst du sein.
Dass der Schlüssel immer
zur Rezeption muss,
denk dran.

Tonaufnahme [MP3]

Just like the old times

Da stehen sie dann, die Naziglatzen, drei oder vier, zusammen mit ihrem weiblichen Anhang. Aus den halb geöffneten Bomberjacken leuchtet irgendwas mit Deutschland hervor, in Fraktur natürlich. Die jungen, bleichen Schädel stehen wie Pilze im blaugrauen Gewitternachmittag. Maskengesichter, stumpf und dumpf, in den Neunzigern eingelagert und jetzt von einer neuen Generation wieder hervorgeholt. Noch wirken sie nicht ganz sicher in der Nachahmung ihrer Väter, aber der Wille ist klar erkennbar.

Juten Tach

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Es ist schon ein Abenteuer, sich zum Anleger durchzukämpfen. Magdeburg-Buckau hat einen Ruf zu verteidigen, und das tut es. Ein Dschungel, in dem dein Verstand und deine Machete rasiermesserscharf sein müssen. So ist das mit den Städten ganz am Rande der Zivilisation – sie werden stärker von der Wildnis geprägt als sie wahrhaben wollen. Wenn du dich bis in die erste Reihe durchmogeln kannst, hast du Chancen, mitgenommen zu werden. Keine guten, aber immerhin. Du bist umgeben von fragwürdigen Gestalten, Vorsicht ist geboten. Das Glück lacht dir – kaum ist die verrostete Rampe mit lautem Knall auf dem bröckeligen Beton des Anlegers aufgeschlagen, wirst du durchgewunken. Sofort ist wieder Schluss mit dem Boarding, und es entwickelt sich kurz eine Schlägerei, aber das betrifft dich schon nicht mehr. Das winzige Boot, mit dem du übersetzen willst, hat bessere Tage gesehen; man könnte meinen, es erinnert sich nicht einmal an diese Zeiten. Der Geruch nach Diesel und Männerschweiß. War das eine gute Idee? Zu spät, das Gefährt legt ab. Und dann befährst du ihn, den Sambesi Sachsen-Anhalts. Angeblich ist er hier gar nicht so breit, aber das täuscht, wie du weißt. Die jovialen und handfesten Matrosen gehen auf in ihrer Routine, sie kennen das Gewässer, sie kennen ihre Kunden. Einer von ihnen sagt "Juten Tach" und kontrolliert die Fahrkarten. Alle können sich legitimieren, keiner geht über Bord. Das Gestampfe und Gestrampel der altersschwachen Schiffsmaschine weicht einem ruhigeren Rhythmus. Flussdelphine begleiten die Fähre, sie werden mit Fischabfällen gefüttert. Kanus mit Eingeborenen treiben vorbei; die Matrosen haben euch eingeschärft, den Blickkontakt zu meiden. Einst war dieser mächtige Fluss breit wie ein Meer, aber der Regen kommt nicht mehr, schon lange nicht. Dennoch, Stunde um Stunde dauert die Fahrt. Eingelullt von Dieseldunst, Maschinengetucker und dem Schaukeln des Schiffchens dämmerst du weg, und als du aufschreckst, ist es bereits in Griffweite: das wildnisseitige Sambesi-Ufer. Die Fähre rumpelt und knarzt an dem wackeligen Anleger entlang, dass dir noch einmal auf dem Boot bange wird. Die Rampe knallt runter, du verabschiedest und bedankst dich, mitten in das schief-mitleidige Lächeln der Matrosen hinein. Ein letzter Gruß der Zivilisation: Auf dem verfallenen, lang schon nicht mehr benutzten Fahrkartenbüdchen steht noch gut lesbar "Überfahrt", in einer Schrifttype, die vor hundert Jahren modern war. Dann verschluckt dich das undurchdringliche Grün.

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Flieger

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Über dem Haus kreist ein Ein-Mann-Hubschrauber. Ich vermute, das ist der Fotograf, der die Luftaufnahmen gemacht hat. Sehr gute Luftaufnahmen von Magdeburg, die neulich eine Weile lang in dem nahegelegenen Einkaufszentrum ausgestellt waren. Irgendwo auf den Plakaten der Ultraleichthubschrauber, zusammen mit der Business-Adresse des Piloten und Fotografen. Alles gut und schön, aber ich mag das nicht, dass er da oben in diesem Gestell herumfliegt. Das mechanische Insekt sieht aus, als könnte es von einer mittleren Bö aus dem Himmel gepflückt werden. Ich mag das nicht, wenn sich Leute ohne Not in Gefahr bringen. Oder weil sie einfach Geld verdienen müssen. Extremsportarten, Ultraleichtflugzeuge, Fassadenkletterer, Bergsteiger, Fallschirmspringer und lauter so ein gestörter Kram. Was ist denn, wenn der Pilot mit seinem fliegenden Besenstiel in die Stadt runterhagelt? Dann heulen sie wieder alle. Tragisch, tragisch, großes Talent, von uns gegangen, leider auch auch drei Bürger dieser Stadt, denen er in die Wohnung gehagelt ist, tragisch, supertragisch. Menschen sind die Pest.

Auch über dem Haus: Luftkämpfe zwischen Mauerseglern, Krähen und Falken. In meinem Zimmer drehen die Ventilatoren. Ich muss an den Zweiten Weltkrieg denken, warum muss ich so oft an den Zweiten Weltrkrieg denken. Messerschmitts und Spitfires. Blutige Schnäbel und zerfranst abgerissene Tragflächen, verbogene Propeller. Leichen, die an Fallschirmen von Bäumen hängen. Jean de Selys Longchamps. Alfred Kitchener Gatward und George Fern. Und so weiter.

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Bildquelle: Wikimedia, Public Domain

Spätkauf

jellyfFed

Am Samstagabend in die Stadt zurückkommen und nichts mehr im Kühlschrank haben: Es muss kein Problem sein. Ich bin mir sicher, dass der Supermarkt, der nächstgelegene, bis 22.00 Uhr geöffnet hat, denn das hier ist eine Großstadt, und ich habe ja in diesem speziellen Supermarkt schonmal spät eingekauft. Weil ich ganz sicher bin, muss ich nicht sofort losstürzen. Ich kann alles auspacken und verräumen, ich kann einen Tee trinken, locker sein. Trotzdem alert bleiben, trotzdem einen Zeitpuffer einplanen: Aufbruch zum Einkauf ca. 20.30 Uhr. Als ich dann auf den Supermarkt zulaufe, nimmt meine Gewissheit ab. Das sieht ein bisschen verlassener aus als mir recht sein kann. An der Glastür steht: Samstag 10.00 - 20.00 Uhr. Na sowas. Logistik, denke ich auf dem Nachhauseweg, Logistik ist nicht meine Kernkompetenz. Eine gewisse Enttäuschung über mich, die Welt, den Einzelhandel. Ich denke an meinen Kühlschrank. Natürlich ist er nicht ganz leer. Ein bisschen was ist da, ein bisschen kümmerlich. Wird schon gehen bis Montag. Wird schon.

Im Aufzug nach oben treffe ich auf einen Nachbarn, der einige Bananen dabei hat. Er lächelt mich freundlich an. Spontan frage ich ihn, ob er mir zwei Bananen verkauft. Er nickt begeistert und hält mir die Früchte hin. Ich greife nach meinem Geldbeutel, aber er wehrt ab: "Nein, nein." Ich nehme zwei schöne, große Bananen und denke daran, ihm doch zwei Euro aufzunötigen, damit die Schuld beglichen ist. Aber da muss er schon aussteigen. Er verabschiedet sich freundlich. In meiner Wohnung denke ich, dass ich heute Abend zu meinem Notbrot eine Banane essen kann und am nächsten Morgen zu meinem Notmüsli auch. Warum bin ich so bewegt? Es war doch nur eine einfache Geste.