Sättigung
17/06/25 23:07

Balkon, 10. Stock
Das Aas, das der Rabe vom Imbiss bringt:
steck’s in die Wolken bei Windgefahr.
Schimmer auf schwarzem Gefieder
wird Autolack des Jahres.
Ruf einen Freund an.
Wenn ihr nur still seid,
macht euch das Rauschen
satt.
Tonaufnahme aus dem 10. Stock [MP3]

Lotos
15/06/25 11:57

Rolf Lindemann, Zwei Personen in Aktion, 2008
Vielleicht haben ja die Buddhisten recht. Sie verehren den Lotos nicht nur, weil er so schön ist, sondern auch, weil er aus dem Schlamm erwächst.
Gestern feierte das Kunstmuseum Magdeburg den 50. Es präsentiert sorgsam kuratierte moderne Kunst in einer ehemaligen Klosteranlage aus dem 11. Jahrhundert. Eines der schönsten Museen, in dem ich je war. Man denkt beinahe: So könnte das Abendland ja auch sein.
Wo ist der Schlamm?
Natürlich nicht nur in der Geschichte, aber da auch. Die letzten Prämonstratenser verließen das Kloster 1632, bald nach der Magdeburger Hochzeit, dem schlimmsten Massaker des Dreißigjährigen Krieges. 20000 zivile Todesopfer an einem Tag.
Wo ist der Schlamm?
An seinem Geburtstag war das Museum umgeben von hellen und aufgeräumten Straßen. Magdeburg ist eine schöne Stadt. Wer's nicht glaubt, sollte bei nächster Gelegenheit mal hinfahren.
Allerdings wissen wir, zu was für Untaten Deutschland wieder fähig ist. Es ist auch klar, was die Rechte mit der Kultur vorhat. Sie erklärt es ja ganz offen, wie neulich in einer Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt. Und die Linke versagt viel zu oft bei der Abwehr der Barbarei oder befördert sie aktiv.
Wäre das Museum nur eine schöne Blume, dürfte es nichts vom Schlamm wissen. Tut es natürlich aber. Die Kunst bringt ihre Wurzeln mit, wenn sie nicht nur Dekoration sein will. Ich empfehle den Besuch nachdrücklich.

Der Kommunist
11/06/25 22:52

Das Literaturhaus Magdeburg hat mit der Germanistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg eine Kooperation laufen. Da können Studierende ein Praktikum am Literaturhaus machen, und es zählt fürs Studium. Dana Paschert, Studentin der Mediengermanistik, hat sich darauf eingelassen und eine Ausstellung gebaut, die jetzt im Literaturhaus gezeigt wird: vergnügen der götter: ronald m. schernikau. leben und werk.
Schernikau, der 1960 in Magdeburg geboren wurde, dann im Westen war und am Ende wieder im Osten. Der dem DDR-Schriftstellerverband damals zum Abgesang die Leviten gelesen hat. Der seinen Genossinnen und Genossen, die es nicht mehr sein wollten, Verrücktheit vorwarf; eine Verrücktheit, die auf ähnliche Weise Christian Geissler beschrieben hat, als er von einem Ex-DDR-Bürger erzählte, der sich nach der Wende einen irreparabel kaputten BMW kauft, nur um einen BMW zu haben.
Schernikau, der meinte, dass der DDR-Sozialismus Ergebnis einer Revolution gewesen ist. Der seinen eigenen Spinnereien (und natürlich denen von Peter Hacks) auf den Leim ging. Der geniale Verwechsler, der zu oft glaubte, was er dachte. Der so zart und grob sein konnte, wie es nur Leute sind, die von ihrer eigenen Klugheit geblendet werden. Seine unverschämte und wahre Rede, und wie verzweifelt wir über sie hinaus sind. An einem Punkt, zu dem er sicher etwas zu sagen hätte. Wie Uwe Johnson, Christian Geissler, Brigitte Reimann oder Gisela Elsner auch. Jemand hatte etwas zu sagen, wenn er fehlt, obwohl er sich gerne irrte.
Die Ausstellung ist nicht groß; das kommt auch daher, dass sie auf Firlefanz verzichtet. Es geht um die zentralen Punkte: "schreiben, schwulsein, kommunistsein", wie Schernikau selbst sagte. Und um sonst nichts. Kein tonnenschwerer Theorieapparat, kein Feuilletongelaber, kein Prestigegetue. Sehr angenehm.
Birdwatcher
11/06/25 13:16

Zu den Falken, Tauben, Mauerseglern und Krähen kommen jetzt noch die Drohnen hinzu. Es wird eindeutig Sommer. Sieht aus wie eine Mavic 3E mit RTK-Modul und Mobilfunk-Dongle. Wahrscheinlich einfach eine Vermessungsdrohne der Stadt oder eines Bauunternehmens. Aber ich bin kein Birdwatcher.
Kurvenradius
09/06/25 19:34

Natürlich kreischen, rumpeln und bimmeln sie. Aber manchmal machen sie auch ein spezielles Geräusch, das ich ein Flöten nennen würde. Klar ist es Metall auf Metall wie beim Kreischen. Klingt aber, als würde jemand mit einer Polierscheibe das Innere einer gigantischen Röhrenglocke bearbeiten. Das Verhalten von Gebrauchsgegenständen, die Musikinstrumente sein wollen. Ich respektiere das. Ein ganz ferner Nachhall von Awraamows Sirenen und dadurch ihr Gegenteil. Die Straßenbahnen haben flötende Nebelhörner, und die ganze Stadt ist ihr Hafen.
Regelmäßig, tief in der Nacht, treffen sich auch zwei, da unten, an der Haltestelle. Sie haben Pause, sie flüstern sich von Gleis zu Nebengleis was zu. Dann rumpeln, kreischen und flöten sie wieder. Weil es ja nichts hilft. Weil ja immer irgendwer bewegt werden muss.
"Städte mit einer Straßenbahn sind anders als Städte ohne", sagte ein Besucher neulich. Flöten und Flüstern gehören zum Unterschied.