Jäger

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Ein Weibchen, wenn ich das richtig sehe. Es war gar nicht so leicht. Sie musste da auf der Brüstung sitzen, ich musste überhaupt hier sein, und die Kamera mit dem halbwegs tauglichen Objektiv musste auch zufällig griffbereit herumliegen. So aufmerksam, diese Tiere. Das ist wohl nötig zum Überleben. Die Bildqualität ist immer noch mäßig: geschlossenes Fenster, zu kurze Brennweite, unerfahrener Falkenfotograf. Wenn ich sie mir so anschaue, könnte das mit der engen Verwandtschaft zu den Papageien schon hinkommen.

Sei mir gegrüßt, Haru. Besuch mich noch öfter.

[Vorhin hat sie sich an eben diesem Platz mit ihrem aktuellen Lover gepaart. Es muss weitergehen. Falcons for Future.]

Vorabend

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Das Feuer bestimmte die Bewegungen. Erst wollten alle ganz nahe beim Scheiterhaufen sein; ich auch, zum Fotografieren. Aber man ließ den Künstlerinnen, die vorher Feuerzauber gemacht hatten, einen Weg frei. Zum Anzünden. Die Hitze wurde bald unerträglich, und der Kreis dehnte sich aus. Noch in größerer Entfernung glühten die Gesichter. Man rückte wieder näher, als der Brennstoff nach und nach aufgebraucht wurde. Die langsame Atemfrequenz einer Menschenmasse: aus, ein, aus. Dann zerstreute sich das spontane Kollektiv, das zusammen geatmet hatte, ohne davon zu wissen. Die Frau an der Bar fragte mich nach dem Pfandchip für meine Flasche, den ich nicht vorweisen konnte.

"So, so", sagte sie, "Sie haben also gar keinen Chip bekommen?"

Ich gestikulierte einen luftigen Rahmen um meinen Kopf. "Kann dieses Gesicht lügen?"

Fröhliches Gelächter der Kollegin.

"Da will ich Ihnen mal glauben. Meine gute Tat für heute!" Die Barfrau legte mir den Euro hin.

Gutgelaunt ging ich durch die leeren Straßen nach Hause.

Daheim machte sich der zusätzliche Feinstaub in meiner Lunge bemerkbar. Aus, ein, aus. Meine Kleider rochen nach Rauch. Beim Ansehen der Feuerbilder wurde mein Gesicht wieder warm.

Mein erstes Osterfeuer.

Frohe Ostern.

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Tradiert

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Wie schwer kann es sein, sich von der Monarchie zu lösen? In einem Land, in dem es sie seit mehr als einhundert Jahren nicht mehr gibt?

Die Brücke ist sehr schön. Wenn ich Wikipedia richtig verstehe, handelt es sich um eine einhüftige Brücke, bei der die Tragseile im Fächersystem aufgehängt sind, und zwar an freitagenden Pylontürmen. Im hellen Aprillicht wirken die Türme grazil. Man hofft, dass sie all das Gewicht gut tragen. Ein Bauwerk, auf das Magdeburg stolz sein kann. Es wird in der Baugeschichte der Stadt seine Rolle spielen, neben der Hyparschale und dem Albinmüller-Turm zum Beispiel. Ich sehe die weißen Fächer bei jedem Blick aus dem Fenster, der nach Osten geht.

Als die Benennung der Brücke anstand, nahm man Vorschläge von den Bürgerinnen und Bürgern Magdeburgs entgegen. Die Bürgerinnen und Bürger wollten mehrheitlich, dass die große Tragseilbrücke Kaiser-Otto-Brücke heiße und ein weiteres, kleineres, vorgelagertes Brücklein: Königin-Editha-Brücke. Außerdem fiel auch gehäuft der Name Heinz Krügel. Heinz Krügel ist eine weitbekannte Fußballpersönlichkeit in einer Stadt, die Fußball ernst nimmt. Aber Heinz Krügel war auch von 1940-1944 Mitglied der 5. SS-Panzerdivision "Wiking", und diese Division beging zum Beispiel in der Ukraine Kriegsverbrechen. Es blieb bei Kaiser Otto und Königin Editha.

Man hätte viele Möglichkeiten gehabt. Die Brücke steht gewissermaßen in der Verlängerung der Ernst-Reuter-Allee (früher Stalinallee). Man hätte sie problemlos nach Ernst Reuter nennen können, dem Sozialdemokraten, Verfolgten des NS-Regimes, ehemaligen Oberbürgermeister Magdeburgs. Oder warum nicht nach Hermann Beims? Ebenfalls ein sozialdemokratischer OB, Reuters unmittelbarer Vorgänger in der großen Zeit des neuen Bauens in Magdeburg. Zwar trägt schon die Universität Otto von Guerickes* Namen, und die Halbkugeln seines Versuchs sind über die ganze Stadt verteilt, aber war er nicht ein Ingenieur und Physiker und erwiesenermaßen ein sehr kluger Kopf, auf jeden Fall der modernen Brückenkonstruktion weit näher als der frühmittelalterliche Kaiser? Gut, nach Lebenden sollte die Brücke nicht benannt werden, aber eine Jürgen-Sparwasser-Brücke, benannt nach dem Maschinenbau-Ingenieur, Torschützen in Hamburg 1974 und Republikflüchtling, das wäre doch verführerisch gewesen.

Lauter Männer. Warum nicht ein gemeinsamer Frauenname für die große und die kleine Brücke? Heise-Brücke. Katharina und Annemarie Heise, die Künstlerinnen, nicht gut, nicht bekannt genug? Sie hätten die Formensprache verstanden, vielleicht gefeiert. Beide Brücken, die große und die kleine, als Brückenzug nach Louise Aston zu benennen – das hätte viel Mut erfordert. Emilie Winkelmann, die erste freiberufliche Architektin in Deutschland, nicht tauglich? Ebenso Claire von Glümer*, die für die Magdeburger Zeitung aus der Frankfurter Paulskirche berichtete? Ich will gar nicht so tun, als wären mir Aston, Winkelmann und von Glümer vor dem Herumgucken im Internet bekannt gewesen.

Man hätte die Pylontürme auch weiß streichen können wie die Tragseile. "Weiße Brücke", warum nicht. Weiß wie die weiße Flotte von Ausflugsdampfern auf der Elbe. Es blieb beim Kaiser und seiner ersten Frau. Bei groß und klein.

Ein 1995 neu gebautes Gymnasium im nahegelegenen Wolmirstedt heißt: Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium (KJFG).

Wie schwer es sein kann, sich von der Monarchie zu lösen, in einem Land, in dem es sie seit mehr als einhundert Jahren nicht mehr gibt? Sehr schwer.

*Otto von Guericke wurde spät geadelt (1662), und seine bedeutendsten Arbeiten stammen aus der Zeit vor der Erhebung in den Adelsstand. Claire von Glümer war eine Radikale gegen die Monarchie.

Ausstellung

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Einfache Frage: Warum male ich nicht mehr?

Einfache Antwort: Computer.

Ende der Achtziger hatte ich schon eine ganze Weile Briefumschläge mit Aquarellfarben verziert und mit der Post an Freunde und Freundinnen verschickt. Ich wusste nicht, dass man das Mailart nennt, ich machte es einfach. Da kam der Gedanke auf: Wenn was bei der Post verloren ginge, das wär doch schade. Also kaufte ich richtiges Aquarellpapier und machte, was man mit Aquarellfarben eben nicht macht: gerade Linie statt wässriges Ineinanderfließen, Strich statt Hauch, Block statt Feld. Aber auch kombiniert mit Pastellkreide. Und mit Collage-Elementen. Manches misslang, und als ich 1993 endlich einen Computer hatte, wollte ich die Bilder besser am Bildschirm planen. Stattdessen begann ich, Bilder am Bildschirm zu machen, noch laienhafter und unverschreckter als bei den Aquarellbildern vorher, aber es war eine neue Zeit, und ich fand sie toll. Die Ideen zu absurden, am Bildschirm entstandenen Bilderbüchern kamen, aber ich hatte zunächst keine Kamera, sondern nur einen billigen Scanner. Das war auf Dauer doch zu einengend. Die erste Kamera: 2003.

Als ich um 2008 noch einmal versuchte, auf die Aquarellfarben zurückzugreifen, gelang gar nichts mehr. Es war vorbei. Ich hatte gemacht, was für mich mit meinen Mitteln zu machen war. Die Fotografie hatte den malerischen Impuls geschluckt und beanspruchte ihn nun ganz für sich.

Würde ich heute noch auf meine Art aquarellieren, wenn ich die eine Chance wahrgenommen hätte, die sich zu einer Ausstellung bot? Kann sein. Stattdessen gibt es nur eine winzige Dauerausstellung im Internet (Einzelbilder anklickbar):

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Symbolbild

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Hier oben gibt es Turmfalken. Zuerst war ich ungläubig, obwohl ich natürlich weiß, dass Turmfalken Kulturfolger sind, und wenn das kein Turm ist, in dem ich hier wohne, was ist es dann? Bald gab es keinen Zweifel mehr: der Schrei, der aufgefächerte Schwanz, Gefiederfarbe und -musterung. Vor ein paar Tagen dann ein Pärchen, das sich auf Höhe meines Stockwerks im Abendwind umkreiste. Man denkt auch manchmal, die Tauben und Krähen tippeln ein wenig nervöser auf dem Geländer der Terrasse herum, weil sie wissen, dass die Scharfschnäbel unterwegs sind. Wobei, für Krähen und Tauben sind Turmfalken keine Gefahr, lese ich. Vielleicht erinnern die Falken auch nur an die anderen Räuber, auf die man wirklich aufpassen muss. Ein Falkenfoto habe ich nicht, dafür sind sie zu schnell.

Schnell sind abends auch die Motorradjungs unten auf den Straßen. Schneller als die Polizei erlaubt. Sie drehen gern zwischen den höchsten Häusern der Innenstadt auf, weil dann ihre Motoren so schön an den Fassaden hochheulen und -knattern. Ich kann sie bei ihren kurzen Sprints beobachten, die ja nötig sind. Denn wofür hätte man sonst das viele Geld ausgegeben? Manche der Motoradjungs fahren bestimmt eine Suzuki Hayabusa. „Hayabusa“ heißt auf Japanisch „Wanderfalke“.

Vermutlich weiß die Marketingabteilung von Suzuki, dass Falken Papageienvögel sind. Aber bei einer so erfolgreichen Motorradmarke muss man das ja nicht an die große Glocke hängen.

Und von da gehen die Assoziationen zu Say Nothing von Flume und zu Under the Skin mit Scarlett Johansson. Das Gehirn ist ein flüchtiges Reh.