Waisen
19/07/25 13:50

Fritz Cremer, Gekreuzigter
Man findet sie überall in der Stadt. Glas- und Keramikmosaike, Brunnen, Statuen. Eine Menge Statuen. Manches davon ist ziemlich beeindruckend, wie zum Beispiel Fritz Cremers kreuzlos Gekreuzigter (1973, heue Nähe Johanniskirche), s. unten. Oder die Ringergruppe von Joachim Jastram, ebenfalls von 1973. Fritz Cremer, das fällt schnell auf, hat sich ein bisschen zu gern selbst dargestellt in seinen Monumentalwerken. Und er hat auch schrecklichen, barlachisierenden Scheißdreck fabriziert, wie "Mutter Erde" (1951, Skulpturenpark Nähe Kunstmuseum), s. unten. Ein vielbeschäftigter Oberstaatskünstler. Jo Jastram trat 1949 als 21-Jähriger der NDPD bei, dem von Stalin installierten Auffang- und Abklingbecken für abklingbereite Restnazis. Später auch ein vielbeschäftigter Oberstaatskünstler (z.B. Wandfries Lob des Kommunismus, 1976, Palast der Republik, Berlin). Er hat auch so was Tolles gemacht wie Schreiender Hengst in Rostock.
Statuen von damals in Magdeburg. Auch zum Beispiel von Sabine Grzimek (Stehende und Ruhende Gruppe, 1979/1985, Nähe Kunstmuseum). Oder von Herbert Burschik (Der Torwart, 1974, Elbuferpromenade). Kein sozialistischer Realismus, ganz und gar nicht. Vielleicht vom Selbstverständnis her eher sozialistischer Humanismus. Stilgeschichtlich gesehen meistens ein angehaltener, erzogener, eingenordeter Expressionismus, milde modern, technisch sehr versiert, je nach Bedarf dynamisch oder still. Eine eigene Ästhetik unter Beobachtung, ein eigenes Kunstwollen, selbst wenn es ins unmittelbar Propagandistische, Pathetische geht wie beim Fahnenmonument (Joachim Sendler, 1974, Elbuferpromenade). Kunst, die von einem anderen Misstrauen begleitet wurde als im Westen. Die von Fall zu Fall an ihrem ideologischen Auftrag giftig wurde. Ähnlich wie sogenannte moderne Religionskunst, die ja auch immer darauf achten muss, dass die Kirche im Dorf bleibt.
Ein Sportbezug war gern genommen. Der Sport lenkt zu allem hin, er erzieht die Kämpferinnen und Kämpfer der Zukunft. Er lenkt von allem ab, indem er die Sprudelflasche der Seele schüttelt, bis all die unverstandenen Gefühle aus ihr hervorschäumen können.
Die alten DDR-Kunstwerke sind Waisen. Ihr zeitgeschichtlicher Kontext ist entfallen, heute stehen sie da in einem seltsamen Vakuum zwischen Verachtung, Geschichtsklitterung und Gleichgültigkeit. Die Leute gehen an ihnen vorbei, natürlich tun sie das, was hat ihr Leben ey echt jetzt ey mit Kunst zu tun? Die Statuen müssen sich allein behaupten gegen die Welt. Das gelingt mal besser, mal schlechter.
[Sprache kann nie alle Widersprüche aufzählen, bevor sie wertet, weil sonst kein Satz entsteht. Das ist eine ihrer Schwächen.]

Joachim Jastram, Ringergruppe

Fritz Cremer, Mutter Erde

Dietmar Witteborn, Glasmosaik (Detail), Titel unbekannt