Fastversteck

abscond

Der Park ist so klein und verborgen, ich hielt ihn zuerst für eine Privatsache. Noch auf den Treppenstufen vom Fürstenwall herunter vermutete ich, gleich wieder zum Verlassen des Geländes aufgefordert zu werden. Was für ein seltsamer Ort. Ein bescheidenes Viereck, wie in den Boden der Stadt eingesunken, mit einer einzigen Sitzbank, ein paar Rosensträuchern, einem inaktiven Springbrunnen, einer massiven Eiche. Und einer Reihe von Nischen in der Fürstenwallmauer mit Statuen darin. Die alle kopflos sind. Fast eine surrealistische Installation. Vier Zugänge zum Areal: einer ebenerdig, eine Kopfsteinpflasterkurve vom Dom und vom Haus der Romanik herunter, die Treppe vom Fürstenwall, die ich genommen hatte, und eine weitere, neu, gut gepflegt, anscheinend ohne Funktion, weil sie bloß zu einem verschlossenen Gatter führt. Ich wunderte mich, fotografierte herum. Währenddessen kamen andere Touristen, genauso unsicher wie ich, ob man hier sein durfte. Fantastisch.

ZUnächst wollte ich nichts über den Miniaturpark wissen. Alles schwer historisch, war ja klar, bei diesem schwer historischen Umfeld, ansonsten: egal. Ich kam nur immer wieder, hoffte jedes Mal mehr, dass die Bank frei und der Park leer sein würden, zum Schreiben gut. Schien zu klappen. Dann der Schreck: Schon bei der Annäherung hörte ich Rufen und Gelächter. Ein Publikum, eine Bühne. Fremde in meinem Park! Mir blieb nur die Kamera. Ich ahmte einen Pressefotografen nach, bemühte mich um den Anschein von Routine, machte ein paar Fotos von Bühne und Publikum, überstieg nonchalant das Flatterband der Absperrung zum Fürstenwall.

Mein Park war entzaubert, ich musste jetzt mehr über ihn erfahren. Also bekam ich zu lesen: War gar kein Park. Sondern der Garten der Möllenvogtei. Und er fing auch seine Karriere nicht als Garten an, sondern als – Hafen. Ein zwangsweise 1377 von Bürgern der Stadt Magdeburg für den damaligen Erzbischof (Peter Jelito) erbauter Hafen, denn der wollte einen Privatzugang zur Elbe haben. Das erklärt wahrscheinlich auch die abgesunkene Lage des Geländes. In seinem Westen: das einzige noch erhaltene Stadttor Magdeburgs, von 1493 oder 1495. 1520 schon war der Hafen ein Sumpf, 1632 von der Stadtmauer umschlossen, keine Verbindung zur Elbe mehr. In unmittelbarer Nähe auch zwei Türme: Kiek in de Köken und der Turm hinter der Ausfahrt der Möllenvogtei. Doch, die heißen beide wirklich so. Während der Hafen zwangsweise für Peter Jelito angelegt wurde, gingen die Türme dessen Nachfolger Günther II. von Schwarzburg so gegen den Strich, dass er sich von 1432-1435 teilweise bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Stadtgesellschaft zum Thema leistete. Er scheint insgesamt recht militant gewesen zu sein.

Um den Möllenvogteigarten herum ist die Geschichte wie verknäult. Man nehme zum Beispiel Sebastian Langhans, Möllenvogt zumindest von 1518 bis 1538 (Stadtschreiber von Aschersleben war er vorher schon gewesen). Interessante Zeiten damals. 1523 beschlagnahmte Langhans in seiner Funktion als Stadtvogt ein Bild, das Martin Luther als "Junker Jörg" zeigte, möglicherweise gemalt von Lucas Cranach d. Ä. Am 2. Juli 1524 wurde mit einer Feuerwaffe auf ein Fenster seiner Vogtei geschossen (keine Verletzten).

Die kopflosen Statuen? Ein Sammelsurium aus der Zeit von 1500 bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie wurden aus dem Schutt gezogen, den die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs in Magdeburg hinterlassen hatten, und später hier aufgestellt. Sie erinnern mich an die DDR-Kunstwaisen in der Stadt.

Das Stück, das aufgeführt wurde, als ich fotografierte? Der eingebildete Kranke von Molière (1673).

Und so weiter.

Ich bin schon ein wenig stolz auf meinen Garten.

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