Das unsichtbare Revier

smallmountainsFed

Als Kritiker von Verschwörungsideologien bin ich versiert in Verschwörungsdenken. Ich stelle mir einen unsichtbaren Krieg der Magdeburger Wohnungsbaugesellschaften vor. Nur Eingeweihte wissen, was läuft, aber keiner weiß, was wirklich läuft. WoBau, MWG, Otto von Guericke, die Wohnungsgenossenschaften von 1893, 1954, 1995, Post und Energie – man beteiligt sich. Am Rande agieren die Volkssolidarität und die MVB, sowie die Sportvereine. Und natürlich die MDCC. Es ist ein Kampf aller gegen alle. Fluktuierende Fronten, delirierende Demarkationslinien. Fahrrad-Lieferdienste dienen anderen Diensten: der „Fachstelle Statistik“, der „Inneren Kommunikation“, der „Einkaufsabteilung“ oder der „Leitstelle Nord“. Es wird infiltriert und gegeninfiltiriert, bis außen und innen eins sind. Antennen auf den Dächern steuern und stören. Industriekletterer bemalen über Nacht riesige Flächen mit unbestellten Murals oder beleidigenden Graffiti. Wanderbaustellen, Sandhaufen und Radlader werden direkt vor lebenswichtigen Zufahrten des jeweiligen Gegners oder seiner echten und vermuteten Verbündeten geparkt, was bedeutet, dass alle betroffen sein können. Scheinmieter ziehen unter Falschnamen durch die Stadt und verursachen möglichst hohe Kosten in Feindobjekten. Trollarmeen schreiben in Internetkommentaren die Trollarmeen der anderen nieder. Spezialtruppen greifen die Infrastruktur über die Kanalisation an. Die Anhänger des 1. FC Magdeburg suchen verzweifelt nach Laternenmasten, die sie noch nicht mit blauweißen Stickern zugekleistert haben, die Spielvereinigungen Einheit Cracau und Lokomotive Neue Neustadt versuchen dagegenzuhalten. In vielen, vielen getarnten Büros sitzen rauchende Männer mit Schnauzbärten und aufgekrempelten Hemdsärmeln und denken über die besten Formen von Schadenzauber nach. Dunkle Machenschaften, falsche Liebschaften, versickerte Erbschaften, verstrickte Seilschaften. Und manchmal, ja manchmal schauen die Schnauzbärtigen hoch zu den Decken ihrer nikotinvergilbten Büros und wünschen sich mehr Input von oben, der aber ausbleibt.

Wandbild

wandbildburg

Einblick bekommen, wenn man danach fragt. Zum Beispiel in den Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Heinz Kruschel, der im Literaturhaus Magdeburg liegt. Heinz Kruschel hat die Postkartenbriefe von Brigitte Reimann fein säuberlich abgetippt, so kann man sie auf dem vergilbenden Papier leichter lesen. Aber gegen Ende hin, ab 1969/70, kann man sie immer schwerer lesen. Krankheit und Schmerzen drängen in den Vordergrund, und die Sorgen darum, ob Franziska Linkerhand noch fertig wird. Der kurze, mühselig ironisierte Bericht darüber, dass ihr Mann sie wegen ihrer Erkrankung verlassen hat. Sie versucht, Mut und Humor nicht zu verlieren, sie fragt Heinz Kruschel nach seinen Projekten, aber von Brief zu Brief werden die Schatten dunkler, dichter.

Seltsam hören sich manche rückblickende Interviews vom Ende der Neunziger Jahre an. Die Männer werden gefragt, ob sie nicht auch eine Liebesbeziehung zu Brigitte Reimann hatten (und reagieren recht souverän auf die indiskrete Frage); das Gespräch mit Christa Wolf bleibt näher an der Literatur, aber auch sie erzählt von den Affären ihrer Freundin in Moskau.

Das tragische Scheitern der schönen und klugen Frau, was für ein nützliches Klischee. Die "Lebenshungrige" hat halt zu viel gewollt. Dass sie das Mädchenwunder der DDR-Literatur war, soll auch heute noch ihren posthumen Marktwert stärken, und ihr Schicksal ist eine kommode Warnung vor Flausen im Kopf. Umso bitterer ihre eigene Einschätzung am Lebensende:

Heute erinnern sich noch ein paar Leser, daß es mal eine B. R. gegeben hat; heute habe ich noch ein paar Freunde, auf die ich stolz bin, weil sie nicht nur zu den besten Schriftstellern unseres Landes zählen, sondern auch gütige Menschen sind (das geht nicht immer zusammen, wie ich früher dachte); heute schreibe ich unter Qualen an meinem ersten guten Roman, der wahrscheinlich auch mein letzter sein wird; (…) sitze in einer Wohnung, die mit Tausenden von Büchern vollgestopft ist, mit kostbaren alten Möbeln und Uhren, sehe mich um und begreife allmählich, wie nichtig der Besitz ist, der uns einst besessen hat (…); heute gehe ich durch die Straßen, wo mir die jungen Männer nachpfeifen, wo die Leute spazieren, die so unverschämt, so beneidenswert gesund sind, trage einen Mädchenkörper mit mir herum und spüre bei jedem Schritt, wie dieser Körper von innen her zerfällt, wie der Tod geräuschlos und unaufhaltsam in den Wirbeln frißt, und während ich grüße und lächele, möchte ich brüllen vor Verzweiflung, diesen gesunden Menschen zuschreien, wie ungerecht es ist, wie entsetzlich ungerecht.

Spanlose, plastische Formveränderung

eisenbahntaenze

gradeeindecker

Die Freuden von Aufbau und Beginn sind unbeschreiblich. Man wird ihrer kaum Herr, außer vielleicht durch Kunst. Davon legen die „Magdeburg-Cöthen-Halle-Leipziger-Eisenbahn-Tänze für das Pianoforte“ (um 1840) ein klingend Zeugnis ab. Bei sowas muss ich immer an meinen Text Das Ereignis denken. Es waren moderne Zeiten, einer modernen Freude würdig.

Was aber, wenn schon alles aufgebaut ist, und noch modernere Zeiten nach vorne drängen? Irgendwo muss das alte Zeug ja hin. In den USA ließ man früher Dampflokomotiven absichtlich aufeinander knallen, was ein ungeheurer Spaß war, aber letztendlich auch keine Zukunft hatte.

Im Technikmuseum Magdeburg stehen die Modernitäten von gestern. Ein bisschen verkrempelt ist die Halle, aber der Regionalbezug ist klar. Zum Beispiel durch die Modelle von Fördermaschinen, die in Magdeburg gebaut wurden und werden. Oder die Simson-Mopeds und die Dieselameise. Ganz hinten stehen die Beiträge Magdeburgs zu Luft- und Raumfahrt. Hans Grade, der erste deutsche Motorflieger. Rudolf Nebel, seine Raketenfanatiker und das Startgerät 10-L. Irgendwo lehnt auf den Fotos auch schon schemenhaft Wernher von Braun an einem Auto. Zu dieser Zeit sprachen sie noch von der Bedeutung der Raketentechnik für die Weltgeltung eines Kulturvolks. In einer Ecke das aufgebahrte Jumo-004-Triebwerk. War verbaut im ersten Düsenjäger und im ersten strahlgetriebenen Bomber der Welt. Hergestellt in Magdeburg.

raketentechnik

Album I

memor

Das erste Album aus Magdeburg/Sachsen-Anhalt, mit Fotos, die im April/Mai entstanden sind. Jedes einzelne Bild in der Galerie ist anklickbar:

Album I

Leider sind ein paar der besten Fotos nicht enthalten, weil sie vor dem schwarzen Hintergrund des digitalen Fotoalbums in meinem Blogtemplate nicht wirken. Ich verlinke daher hier zusätzlich zu den besagten fehlenden Fotos auf Glass, meinem digitalen Hauptportfolio:

The report (Vor der Magdeburger Oper)
Gypsum I (Gipskunst im Kulturhistorischen Museum)
Gypsum II (Noch mehr Gipskunst im Kulturhistorischen Museum)
The light will devour you (Eine Raumschiffbrücke auf der Magdeburger Frühjahrsmesse)
Fire-eater (Ein Feuertanz zum Osterfeuer bei der Festung Mark)
Happy easter (Das Osterfeuer bei der Festung Mark)
Jelly F. (Ein Quallenlicht an der Decke)
Stelae (Die Kaiser-Otto-Brücke im Aprillicht)
Come here my friend (Eingang und Flur eines Wohnblocks)

Strahlung

aprilsonntag

Der April ist gegangen, aber er hat ein Gedicht dagelassen.


Deutscher Aprilsonntag


Viel zu viel Staub, sagt der Staub
und sein Gegenteil auch.

Fabriken und Häuser
im Glas der Sonne.

Die Welt sieht nicht ein,
dass ich Geld brauch und
zwei, drei Sprachen,
dem Stein entkommen,
dass alles zu schön wird
zum Kaputtgehen.


Tonaufnahme [MP3]